„Insgesamt durchweg positiv, neugierig und offen“ – Dr. Marius Wilhelm berichtet von seiner Praxisübernahme in Witzenhausen
Bitte stellen Sie sich kurz vor.
Mein Name ist Dr. Marius Wilhelm, Facharzt für Innere Medizin und seit Juli 2023 als hausärztlicher Internist, gemeinsam mit meiner Kollegin Frau Dr. Reuß, in einer Gemeinschaftspraxis in Witzenhausen niedergelassen. Gebürtig komme ich aus dem Ortsteil Dohrenbach und lebe zusammen mit meiner Frau und unseren 3 Kindern seit 8 Jahren wieder in Witzenhausen.
Sie führen seit einem Jahr die Hausarztpraxis in Witzenhausen gemeinsam mit Dr. Julia Reuß. Wie wurden Sie als „neuer“ Arzt von den Patient*innen angenommen, nachdem Fr. Dr. Koch-Büttner in den Ruhestand gegangen ist?
Insgesamt durchweg positiv, neugierig und offen. Dankbar trifft es tatsächlich auch. Bei vielen war eine Sorge zu spüren, wie es womöglich nach dem Ruhestand von Frau Dr. Koch-Büttner weitergehen wird. Am Anfang muss man sich ja erst einmal kennenlernen. Meine Aufgabe war es zunächst, die vielen unterschiedlichen Patient*innen und ihre Krankheitsgeschichten zu erfassen. Aber auch die Patient*innen mussten sich an meine eigenen Ideen und Strukturen gewöhnen.
Ihr Resümee nach einem Jahr in Witzenhausen: Sind Sie froh, den Schritt in die Selbstständigkeit gegangen zu sein? Was empfinden Sie als besonders positiv?
Absolut! Und das, obwohl ich den Schritt aus einer tollen Stelle im Zentrum für Tetraplegie (Rückenmarksverletzung/-lähmung) in der Orthopädischen Klinik Hessisch Lichtenau gewagt habe. Die Möglichkeit sich selbstständig zu machen, Probleme zu lösen und Projekte selbst entscheiden zu können, hat mich schon lange interessiert. Dies zusammen mit einer Kollegin anzugehen, um sich auszutauschen und gemeinsam die Praxis zu führen, war mir sehr wichtig. Auch der nunmehr sehr kurze Pendelweg bedeutet für mich eine größere Flexibilität, auch im Familienleben.
Was waren Ihre Beweggründe, in eine bestehende Praxis einzusteigen, anstatt eine Praxis neu zu gründen?
Ich wollte nicht bei null starten und erst nach vielen Jahren ankommen, wo wir letztlich im Juli gestartet sind. Nur mit einem vorhandenen Stamm an Patient*innen kann man auch in finanziellen Aspekten eigene Projekte und Ideen finanzieren. Auch war für mich immer klar, dass ich kein Einzelkämpfer sein möchte. Ich wollte Austausch, gemeinsame Führung und auch als Neuling Anleitung und Unterstützung. Außerdem ist das Team extrem wichtig für mich. Ich wusste, dass ich ein tolles Team mit übernehmen würde. Alle meine angenommenen Beweggründe haben sich letztlich bestätigt.
Hatten Sie bürokratische Hürden zu überwinden? Was hat Ihnen geholfen, diese zu meistern?
Die Bürokratie für die selbstständige Niederlassung ist schon enorm gewesen. Es war ein sehr dicker Stapel Papier, der an die Kassenärztliche Vereinigung ging. Da zusätzlich jede genehmigungspflichtige Leistung einzeln beantragt werden muss, hat man viele Ansprechpartner*innen. Ich habe aber lange vor den Abgabefristen begonnen, die Anträge vorzubereiten und hatte so keine größeren Probleme. Die Bürokratie fordert nur viel Zeit zur Bearbeitung.
Würden Sie auch anderen Ärzt*innen empfehlen, eine eigene Praxis zu eröffnen bzw. zu übernehmen? Haben Sie Tipps für eine Übernahme/Neugründung?
Ich kann für die Praxisübernahme und den Schritt in die Selbstständigkeit nur Werbung machen. Es sind sicher viele Informationen, die man sich zusätzlich zum praktischen Wissen des eigentlichen Berufes aneignen muss. Aber mit langfristiger Vorausplanung und einer eigenen Idee ist dies gut zu bewältigen. Bei meiner Vorgängerin, bei meiner Kollegin Frau Dr. Reuß sowie den verschiedenen Instanzen fand ich immer Hilfe. Für mich kam eine „spontane Übernahme“ einer Praxis, die es notwendigerweise auch zwei Mal in den letzten Jahren in Witzenhausen gab, nicht in Frage. Ich brauchte für mich die Sicherheit der ausreichenden Vorbereitungszeit. Aber dabei ist jeder Charakter-Typus unterschiedlich.
Schätzen Sie den Werra-Meißner-Kreis als einen guten Praxisstandort ein? Wenn ja, aus welchen Gründen?
Ich denke, dass der Werra-Meißner-Kreis ein sehr guter Standort ist. Wir haben hier in ländlicher Struktur genug Nachfrage in der Patient*innenversorgung und ein sehr offenes und freundliches Patient*innenklientel. Auch sind aus meiner Sicht ausreichend räumliche und strukturelle Rahmenbedingungen für Praxen gegeben.
Planen Sie in der Aus- und Weiterbildung von angehenden Mediziner*innen aktiv zu werden?
Aktuell ist das nicht geplant und wäre sicherlich auch etwas früh nach der Niederlassung im letzten Jahr. Wir haben schon viele Dinge im Praxisablauf verändert und haben noch einige Ideen. Problem ist auch, dass meine Kollegin und ich beide den Facharzt für Innere Medizin haben. Damit können wir trotz hausärztlicher Tätigkeit leider keine allgemeinmedizinische Weiterbildungszeit anbieten und die Verweildauer potentieller angehender Mediziner*innen in unserer Praxis wäre deutlich verkürzt.
Sie kommen gebürtig aus Witzenhausen. War Ihnen bereits klar, dass Sie nach Ihrem Studium in Göttingen und Dresden wieder zurückkehren möchten? Was schätzen Sie besonders am Werra-Meißner-Kreis als Wohn- und Arbeitsort?
Nach der Zeit in Dresden haben meine Frau und ich, der Arbeit meiner Frau wegen, noch für gut 3 Jahre in Freiburg gewohnt. Wir kamen mit der nahenden Geburt unseres ersten Kindes an den Punkt, an dem wir beide fühlten, dass wir entweder immer dort bleiben oder zurück in die Heimat gehen. Wir haben uns für den Werra-Meißner-Kreis entschieden, weil hier neben den beruflichen Perspektiven auch günstigere Wohnmöglichkeiten bestehen. Das Witzenhäuser Umland hat zwar keine Alpen zu bieten, aber eine wunderschöne Landschaft mit Hügeln und ausgiebigem Waldbestand. Auch kulturell vermissen wir trotz ländlicher Struktur hier keine Möglichkeiten.