Ein Interview mit Annie Kielewe Mpiga
Bitte stellen Sie sich kurz vor.
Ich bin Annie Angele Kielewe Mpiga, Fachärztin für Allgemeinmedizin und komme gebürtig aus Kamerun. Ich bin ebenfalls gabunisch durch die Ehe und Deutsche durch die Staatsbürgerschaft. Ich bin Christin und Jesus Christus steht im Zentrum meines Lebens und meines Berufs. Mit meinem Mann und meinen beiden Kindern lebe ich seit 8 Jahren in Witzenhausen und seit 3 Jahren im Stadtteil Wendershausen. Seit 18 Jahren lebe ich bereits in Deutschland.
Was hat Sie dazu bewegt, eine Praxis in Witzenhausen neu zu gründen?
Die Neugründung einer Praxis war schon lange ein Herzenswunsch von mir. Dafür gibt es mehrere Gründe: Ich habe zuvor lange Zeit in einem Krankenhaus gearbeitet, allerdings ließen sich Schichtarbeit und Familie sehr schlecht miteinander vereinbaren. Ich wollte mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen und mir meine Zeit besser einteilen. Ich hätte auch die Möglichkeit gehabt, einige Praxen zu übernehmen oder in eine Gemeinschaftspraxis einzusteigen, allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass Patient*innen sehr auf den Vorgänger fixiert sind. Der Arbeitsweg war für mich aufgrund der Betreuung meiner Kinder nicht passend und ich wollte eine Praxis nach meinen eigenen Vorstellungen gestalten.
Ich habe mir knapp 1 Jahr Zeit genommen, um mir zu überlegen, ob ich eine Praxis neu gründe, übernehmen soll oder im MVZ arbeite. Obwohl mir viele von einer Einzelpraxis oder Neugründung abgeraten haben, hatte ich das Gefühl, dass etwas in meinem Leben unwiderruflich entgangen wäre, wenn ich keine Arztpraxis gegründet hätte.
Daher habe ich eine Praxis zum 01. April 2023 neu gegründet und habe damit die Möglichkeit, die Patient*innen neu kennenzulernen, unabhängig zu sein und eigene Entscheidungen zu treffen.
Wie hat sich die Gründung gestaltet? Hatten Sie Unterstützung bzw. konnten Sie auf ein regionales Netzwerk zurückgreifen, welches Sie bei der Gründung unterstützt hat?
Die Neugründung einer Praxis ist mit viel Positivem, aber auch mit Aufwand und Sorgen verbunden. Mit Anja Fett vom Werra-Meißner-Kreis hatte ich eine gute Ansprechpartnerin, die mir sehr geholfen hat. Von der KV habe ich ebenfalls Unterstützung bekommen und ich konnte mir Ratschläge bei Kolleg*innen holen – besonders bei Frau Carla Schäfer, der Inhaberin der Rübezahlapotheke in Witzenhausen. Den großen Vorteil einer Neugründung sehe ich darin, eine Praxis nach der eigenen Philosophie und Vorstellung gestalten zu können und eigene Standards zu setzen. Mir ist beispielsweise eine moderne Praxis mit dem Einsatz digitaler Lösungen wichtig und das kann ich hier sehr gut umsetzen.
Eine Neugründung ist jedoch mit einem sehr hohen finanziellen und bürokratischen Aufwand verbunden. Hier gab es zwar Unterstützung, aber das hat nicht ausgereicht. Ich hätte mir eine schnelle und unkompliziertere Förderung und weniger Bürokratie seitens der KV Hessen und dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration gewünscht.
Einige Städte und Gemeinden unterstützen die Ansiedlung von Allgemeinmedizinischen Praxen, dass wäre auch in meinem Fall sehr hilfreich gewesen. Von meiner Heimatstadt wünsche ich mir Unterstützung bei der Öffentlichkeitsarbeit oder einem Willkommensgruß (Begrüßungsbrief, Anzeige in der Zeitung o.ä.).
Ich finde es sehr schade, dass einerseits vom Ärzt*innen- bzw. Fachkräftemangel im ländlichen Raum gesprochen wird, andererseits Neugründungen sich sehr komplex darstellen und eigentlich mehr Würdigung erfahren müssten.
Wie gestaltete sich die Suche nach Mitarbeiter*innen?
Die Suche nach Mitarbeiter*innen war einfach und ging relativ schnell. Auf meine Online-Stellenanzeige haben sich in einem Monat vier Personen gemeldet, von denen ich dann zwei eingestellt habe.
Können Sie sich vorstellen, in Aus- und Weiterbildung aktiv zu sein?
Das kann ich mir definitiv ab dem nächsten Ausbildungsjahr vorstellen, z.B. eine Auszubildende zur Medizinischen Fachangestellten.
Möchten Sie noch einen Arzt oder eine Ärztin einstellen?
Aktuell nicht, aber in ein paar Jahren kann ich mir das vorstellen. Ich möchte meine Praxis irgendwann um weitere Fachbereiche erweitern, z.B. Ernährungsmedizin. Dafür bräuchte ich dann Unterstützung.
Familienarbeit und Beruf – wie verbinden Sie das? Gab oder gibt es Unterstützung dabei, beides gut zu vereinbaren?
Ich habe meine Sprechzeiten so angepasst, dass ich auch noch Zeit für meine Familie habe. Die Schule meiner Tochter und der Kindergarten meines Sohnes sind in der Nähe, wir haben also kurze Wege und sehen uns viel mehr als zu meiner Zeit im Krankenhaus. Familie und Arbeit lässt sich hier sehr gut vereinbaren und das ist mir besonders wichtig.
Was würden Sie jungen Menschen raten, die sich im Werra-Meißner-Kreis niederlassen möchten?
Bezogen auf die Arbeit gibt es hier definitiv genug Patient*innen, um eine Praxis zu eröffnen. Natürlich ist das aber individuell und man sollte sich genau überlegen, was man möchte. Eine Neugründung ist mit großem finanziellem Aufwand verbunden. Für mich haben die Vorteile überwogen.
Sie kommen gebürtig nicht aus dem Werra-Meißner-Kreis. Was schätzen Sie am Werra-Meißner-Kreis als Wohn- und Arbeitsort?
Am Werra-Meißner-Kreis als Wohn- und Arbeitsort schätze ich, dass es ein Landkreis mit kleinen, schönen Städten ist, viele Menschen sind sehr nett und es ist ein schöner Ort um Kinder großzuziehen. Es gefällt mir, dass sich alles, was man braucht, in der Nähe befindet und man nicht weit fahren muss. Außerdem genieße ich die Ruhe, die Natur – die Kirschblüte gefällt mir besonders gut. Das ist natürlich sehr individuell, mir gefällt es aber gut hier.