„Nachwuchs wird dringend gesucht“ – Ein Erfahrungsbericht aus dem dualen Hebammenstudium

 

Gut qualifizierte Hebammen werden dringend gesucht. Seit dem Jahr 2020 werden angehende Hebammen in Deutschland im Rahmen eines dualen Studiums ausgebildet. In einem Interview berichtet die geborene Eschwegerin Emma Lotte Schaub (21) über ihre bisherigen Erfahrungen als duale Studentin im B.Sc. „Hebammenkunde“ an der Hochschule Fulda mit praktischer Ausbildung im Klinikum Kassel und spricht über ihre Berufsperspektiven als Hebamme im Werra-Meißner-Kreis. 


Guten Tag Frau Schaub, stellen Sie sich gerne kurz vor. Wie ist Ihr Bezug zum Werra-Meißner-Kreis? Wie wurde Ihr Interesse an dem Hebammenberuf geweckt? 

Mein Name ist Emma Lotte Schaub, ich bin 21 Jahre alt und tatsächlich hier im Klinikum Eschwege zur Welt gekommen. Nach meinem Abschluss an der Anne-Frank-Schule bin ich auf das Berufliche Gymnasium Eschwege mit dem fachlichen Schwerpunkt Gesundheit gewechselt und habe dort im Jahr 2020 mein Abitur absolviert. Früher war es immer mein Traum Medizin zu studieren, auch damals hatte ich schon Interesse an den Bereichen Gynäkologie bzw. Geburtshilfe. Ein Hindernis für das Medizinstudium waren jedoch die potenziellen Wartesemester. Durch Zufall habe ich von der Umstellung der Hebammenausbildung auf ein duales Studium erfahren und daraufhin ein zweiwöchiges Praktikum bei den Hebammen im Kreissaal in Eschwege gemacht. Ich war total begeistert und ich war mir sehr schnell sicher: Ich möchte Hebamme werden! 


Für mein Studium wollte ich nicht weit weg ziehen und auch langfristig möchte ich gerne im Werra-Meißner-Kreis bleiben, da ich mich in der Region sehr wohl fühle und ich mich in Eschwege ehrenamtlich im Sportverein engagiere. Die Hochschule Fulda erschien mir deshalb ideal. Um sich für das duale Studium bewerben zu können, wird ein Praxisplatz an einem Klinikum benötigt. Nach einem positiven Vorstellungsgespräch im Klinikum Kassel habe ich eine Zusage von der Hochschule erhalten. Meine Entscheidung für das Hebammenstudium habe ich bisher nicht bereut. 


Der Studiengang „Hebammenkunde“ ist noch verhältnismäßig neu. Wie ist das duale Studium strukturiert? 

Natürlich steckt das Studium noch etwas in den Kinderschuhen und einiges muss sich erst noch einpendeln. Tatsächlich gab es schon zuvor Modellstudiengänge, aber seit 2020 gibt es nun auch eine vorgegebene Prüfungsordnung. Insgesamt denke ich, dass der neue Studiengang das Image des Hebammenberufs aufwertet. Im Prinzip sind die Ausbildungsinhalte weiterhin die gleichen, wie in der ursprünglichen Ausbildung. Auch erhalte ich als duale Studentin die gleiche Vergütung und werde im Klinikum genauso behandelt wie die Auszubildenden. Im Studiums kommt jedoch hinzu, dass ich mich auch wissenschaftlich mit den Berufsinhalten auseinandersetze, z.B. kann ich forschen und schreibe am Ende eine Bachelorarbeit. Während der Vorlesungszeit studiere ich an der Hochschule und in der vorlesungsfreien Zeit arbeite ich am Klinikum. Dadurch kann ich das theoretisch erlernte Wissen direkt in den anschließenden Praxisphasen umsetzen. Auf das gesamte Studium verteilt gibt es zwei Externate, quasi Praktika: Mein erstes Externat mit einem Fokus auf Vor- und Nachsorgen habe ich bei einer freiberuflichen Hebamme in Eschwege (Ulrike Brockmann) absolviert. Das zweite Externat findet gegen Ende des Studiums in der außerklinischen Geburtshilfe statt (z.B. im Geburtshaus). 


Möchten Sie nach Ihrem Studium lieber in der Klinik bleiben oder außerklinisch bzw. freiberuflich arbeiten? 

Für den Anfang würde ich zunächst gerne mehr Erfahrungen im Klinikum sammeln. Dort gibt es viele interessante und schwierige Fälle, sodass ich noch viel dazulernen kann. Später kann ich mir auch eine halbe Stelle in der Geburtshilfe im Klinikum und eine halbe Stelle als freiberufliche Hebamme (Vor-/Nachsorgen,  Geburtsvorbereitungskurse etc.) gut vorstellen. Während es in der Klinik oft hektischer zugeht, ist die Arbeit mit den Frauen als freiberufliche Hebamme meist etwas persönlicher. Auf jeden Fall möchte ich hier in der Region bleiben. Gerade im Werra-Meißner-Kreis gibt es einen großen Bedarf an Hebammen und es wird dringend Nachwuchs gesucht. 


Wie schätzen Sie die Work-Life-Balance in dem Beruf der Hebamme ein? 

Vor allem als freiberufliche Hebamme sollte man flexibel sein und sich die eigene Arbeitszeit gut einteilen können. Die Krankenkasse zahlt in der Regel nur 30 Minuten pro Wochenbettbesuch. Einige Hebammen achten sehr streng auf diese Vorgabe, in der Realität nehmen die Besuche aber meist mehr Zeit in Anspruch. Hinzu kommen die Fahrtwege. Ulrike Brockmann habe ich in meinem Praktikum als sehr engagiert und motiviert erlebt. Wir waren häufig von 8 bis 18 Uhr im ganzen Kreis unterwegs und sie war auch außerhalb ihrer Arbeitszeiten für Notfälle erreichbar. Das ist natürlich von Hebamme zu Hebamme unterschiedlich und auch abhängig vom Einsatzgebiet. 


Wie erleben Sie die Basisversorgung in der Geburtshilfe in unserem Landkreis? Und wie nehmen Sie die Geschlechtervielfalt im Hebammenberuf wahr?

In meinem Externat habe das Gefühl bekommen, dass es vor allem im ländlichen Raum zu wenige Hebammen gibt. Gäbe es mehr Hebammen, könnten sich diese mehr im Kreis verteilen und mehr Frauen individueller betreuen. Selbst der Kreissaal im Klinikum Kassel leidet unter einem Personalmangel in der Geburtshilfe. Hohe Haftpflichtversicherungsbeträge für freiberufliche Hebammen haben außerdem dazu geführt, dass im Werra-Meißner-Kreis kaum außerklinische Geburtshilfen (wie z.B. Hausgeburten) angeboten werden. Unser Studiengang ist zwar genderneutral ausgeschrieben, bisher bin ich jedoch ausschließlich weiblichen Hebammen begegnet. Ich persönlich würde mich über mehr Diversität in unserem Beruf freuen. Im Bereich der Gynäkologie gibt es ja schon viele männliche Ärzte, warum also nicht auch in der Geburtshilfe?


Was sollte man für den Beruf als Hebamme mitbringen? Würden Sie das Studium weiterempfehlen?

Wenn ich morgens in den Kreissaal komme, weiß ich oft nicht, was mich dort erwartet. Da muss man oft spontan reagieren und stressresilient sein. Besonders wichtig erscheint mir außerdem Empathie. Eine Hebamme kann eine Geburt positiv (und genauso auch negativ) beeinflussen und entwickelt im besten Fall ein Feingefühl dafür, ab wann bei einer Geburt eingegriffen werden sollte. Oft greifen Hebammen leider viel zu früh ein, auch wenn die gebärenden Frauen dies gar nicht brauchen oder wollen. Hierzu lernen wir auch viel im Rahmen des Studiums, was mitunter ein großer Vorteil der dualen Struktur ist. Wir blicken über den Tellerrand und erhalten vielfältige Perspektiven außerhalb des Klinikalltags. An der Hochschule Fulda werden wir beispielsweise von Dozierenden unterrichten, die als Gynäkologen arbeiten, ehrenamtlich als Hebammen in Tansania aktiv waren oder in der Vergangenheit ein eigenes Geburtshaus eröffnet haben. 


Ich kann allen Interessierten das Studium sehr ans Herz legen. Der Hebammenberuf ist einfach super abwechslungsreich. Und vor allem kann ich das Leben im Werra-Meißner-Kreis sehr empfehlen. Die Region hat unfassbar viel zu bieten. Ich sage immer, dass wir hier zwar ländlich leben, aber doch alles haben, was wir zum Leben benötigen. Es gibt viele gute Kliniken und Krankenhäuser und wir brauchen die Hebammen, damit auch zukünftig viele Babys in unserem Kreis geboren werden können. Ich hoffe, dass sich zukünftig mehr (junge) Menschen für den Beruf begeistern lassen. Gerne stehe ich für Fragen rund um das Hebammenstudium zur Verfügung und freue mich, wenn sich Interessierte bei mir melden (Kontakt: elo.schaub@web.de).

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