Deutsche Teilungsgeschichte am „Grünen Band“ zwischen Werra-Meißner-Kreis und dem Landkreis Eichsfeld: Das Grenzmuseum Schifflersgrund

 

Anne Vaupel-Meier ist als Leiterin für Bildung und Vermittlung im Grenzmuseum Schifflersgrund tätig. Das Museum ist ein naturnahes Ausflugsziel und „Lernort“ für alle Zielgruppen. Junge Menschen und Familien mit Kindern können die deutsche Teilungsgeschichte und die Natur am „Grünen Band“ spielerisch entdecken. Im Interview berichtet Frau Vaupel-Meier über die Besonderheiten des Museums, dessen Einbindung in das „Grüne Band“ sowie die aktuell laufende Neukonzeption. 


Frau Vaupel-Meier, wie sind Sie zu Ihrer Tätigkeit im Grenzmuseum Schifflersgrund gekommen? Welchen Bezug haben Sie zum Werra-Meißner-Kreis? 

Ich komme ursprünglich aus dem Bereich des Kulturmanagements und war zuvor im Eichsfeldmuseum tätig. Seit 2020 arbeite ich hier im Grenzmuseum. Aktuell entwickle ich den Lernort weiter und beschäftige mich mit der Neukonzeption des Museums. An meiner Arbeit reizt mich besonders, dass ich mit unterschiedlichen Menschen aus allen Ecken Deutschlands und dem Ausland ins Gespräch kommen und ihnen die Geschichte der Region auf spannende Weise vermitteln kann. Im Dialog mit den Gästen, insbesondere mit Zeitzeug*innen, stoße ich dabei oft auch auf neue Themen und Geschichten, die wir dann im Archiv des Grenzmuseums sammeln, nachrecherchieren und dokumentieren.  Auch in meiner Freizeit begebe ich mich gerne auf regionale Spurensuche. Ich lebe mit meiner Familie im Eichsfeld und wir sind oft im Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal oder auf den Wanderwegen im Werra-Meißner-Kreis unterwegs. Mein Ausflugstipp für den Sommer ist zum Beispiel der Barfußpfad im Geo-Naturpark Frau-Holle-Land. 


Seit wann gibt es das Grenzmuseum Schifflersgrund und was ist das Besondere an dem Museum? Was spricht Familien und junge Menschen  am „Lernort Museum“ und dem „Grünen Band“ besonders an?

Das Museum wurde nach der Wiedervereinigung vom „Arbeitskreis Grenzinformation e.V.“ ins Leben gerufen und zum ersten Jahrestag der deutschen Einheit, am 3. Oktober 1991, eröffnet. Es handelt sich um das erste Museum an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Ein Großteil der Ausstellungsobjekte sind Relikte aus der Zeit der deutschen Teilungsgeschichte, die aus der Region von Privatpersonen gesammelt worden sind. Eine besondere Bedeutung haben unsere drei unter Denkmalschutz stehenden Originalrelikte: Erhalten geblieben sind ein Grenzbeobachtungsturm, ein Teil des vorderen Grenzzauns sowie der Kolonnenweg. Zudem liegt das Museumsgelände direkt am „Grünen Band“, sodass wir nicht nur historische und politische Themen vermitteln, sondern auch Natur- und Umweltbildung betreiben können. Für Familien gibt es im Grenzmuseum besondere Angebote, wie geführte Entdeckertouren oder kleine Grenzwanderungen, die wir in Kooperation mit der Stiftung Naturschutz Thüringen anbieten. Viele Kinder begeistern sich auch für die technischen Geräte oder die sechs Hubschrauber auf dem Außengelände unseres Museums. Seit der Gründung lebt das Grenzmuseum von einem hohen Maß an ehrenamtlichem Engagement, erst in den letzten fünf Jahren wurden hauptamtliche Stellen geschaffen. 


Welche inhaltliche Ausrichtung hat das Museum? Wie ist das Verhältnis von Ausstellung im Außen- und Innenbereich? 

Schwerpunkt unserer Bildungsangebote ist die Vermittlung der deutschen Teilungsgeschichte in der Region von 1945 bis 1990, inklusive der Entwicklungen nach der deutschen Einheit zwischen dem Werra-Meißner-Kreis und dem Landkreis Eichsfeld. Ebenso ist unser Museum ein bedeutsamer Ort der Erinnerungskultur, da auch über Fluchtschicksale berichtet wird. Beispielsweise gab es in diesem Grenzgebiet 1982 einen tragisch gescheiterten, tödlichen Fluchtversuch mit einem Traktorbagger, der in unserer Gedenkstätte ausgestellt wird. Neben unserem weitläufigen Außenbereich mit diversen Großexponaten (z.B. militärhistorische Fahrzeuge oder Hubschrauber) verfügt unsere abwechslungsreiche Dauerausstellung im Innenbereich vor allem über Fotografien, Alltagsgegenstände oder historische Dokumente aus der Zeit der deutschen Teilung. 


Welche Ziele verfolgen Sie mit der Neukonzeption des Museums? Warum sollten Familien und junge Menschen zu Ihnen kommen?

Im Rahmen der Neukonzeption soll der ursprüngliche, authentische Ort wiederhergestellt werden, sodass der Zustand des Geländes von der Zeit vor 1989 sichtbar wird. Dafür werden unter anderem der Grenzzaun und der Grenzbeobachtungsturm stärker in den Fokus gerückt. Zudem wird ein Neubau für die Dauerausstellung errichtet, in dem vermehrt über das Leben im Sperrgebiet und im Zonenrandgebiet erzählt werden soll. Dabei geht es auch um „junge“ Perspektiven auf die Grenze und die Frage, wie war das Leben für Jugendliche in unmittelbarer Nähe zum Grenzzaun.


Zu diesen und anderen Themen führen wir aktuell viele Gespräche mit Zeitzeug*innen und arbeiten sehr eng mit den Menschen aus der Region – sowohl aus dem Landkreis Eichsfeld als auch aus dem Werra-Meißner-Kreis – zusammen. Langfristig ist für das Jahr 2023 außerdem der Ausbau eines Grenzwanderwegs mit Informationspulten zu geschichtlichen Themen und Aspekten des „Grünen Bands“ geplant. Insbesondere Familien sollen mit diesem Angebot erreicht werden. Beim Spaziergang auf dem ehemaligen Kolonnenweg können Natur und Geschichte spannend vermittelt und spielerisch entdeckt werden. Finanziert wird die Neukonzeption über Fördermittel vom Bund sowie den Ländern Thüringen und Hessen. Eine wichtige Rolle spielen für uns weiterhin auch Eintrittsgelder und das Engagement unserer Ehrenamtlichen. 

 

Wie gestaltet sich die Nachfrage? Gibt es ein mehrsprachiges Angebot?

In den Zeiten vor der Pandemie wurde unser Museum jährlich von etwa 30.000 bis 35.000 Personen besucht, darunter auch von vielen Schulklassen. In diesem Jahr konnten wir pandemiebedingt erst im Mai öffnen, aber dennoch ca. 17.000 Besucher*innen verzeichnen. Insbesondere in den Sommermonaten ist bei uns viel los. Vor allem für Natur- und Radtouristen, Familien mit Kindern oder Reisende, die unseren Wohnmobilstellplatz nutzen, ist unser Grenzmuseum eine beliebte Attraktion. Durch Befragungen wissen wir, dass im Schnitt etwa 5% der Besucher*innen aus dem Ausland kommen. Unter anderem besuchen uns viele Touristen aus den Niederlanden, Belgien und Österreich, aber z.B. auch aus Osteuropa, Russland oder Brasilien. Wir bieten Führungen auf Englisch oder Französisch an und es gibt Infoflyer in vier verschiedenen Sprachen. Viele Impressionen lassen sich in unserem Museum aber auch ohne sprachliche Kenntnisse sammeln (z.B. in der Fotoausstellung oder bei einem Spaziergang entlang des erhaltenen Grenzzauns). 


Mich persönlich begeistert es sehr, dass wir in unserem Grenzmuseum viele Ideen entwickeln und diese gemeinsam mit den Menschen vor Ort ausgestalten können. Übrigens gibt es bei uns auch die Möglichkeit für junge Menschen (Pflicht-)Praktika zu absolvieren und abwechslungsreiche Eindrücke zu sammeln, wie sich die Region während und nach der deutschen Teilung entwickelt hat. 

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