Selbständig als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin im Werra-Meißner-Kreis

Vor 9 Jahren hat Sabrina Weinmeister als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt.


 

 

Interview mit Sabrina Weinmeister
(Dipl. Reha-Psychologin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin)

 

Bitte stellen Sie sich kurz vor: Mein Name ist Sabrina Weinmeister (39 Jahre alt) und ich lebe seit 16 Jahren in meiner neuen Heimat Eschwege. Nach dem Diplom in Psychologie habe ich direkt mit der fünfjährigen Psychotherapieausbildung begonnen, die ich im Jahr 2012 abgeschlossen habe. 

Was hat Sie nach Eschwege gezogen? Gebürtig komme ich aus Sachsen-Anhalt, aber der Liebe wegen ist Eschwege zu meiner Heimat geworden. Beruflich war ich viele Jahre in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Kassel beschäftigt, bin aber jeden Tag gependelt, da ich mich in Eschwege von Anfang an sehr wohl gefühlt habe. Meine Niederlassung in Eschwege habe ich deshalb auch nie bereut.

Wie war der Einstieg in die Selbständigkeit? Nach meiner Approbation 2012 als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin habe ich zunächst eine Privatpraxis (Kostenerstattung) eröffnet, da kein Vertragsarztsitz für den Werra-Meißner-Kreis zur Verfügung stand. Die Kinderarztpraxis Dr. Peters und Frick haben mich damals in ihren Räumen aufgenommen. Das war ein toller Schritt in die „hälftige Selbstständigkeit“, da ich weiterhin eine halbe Stelle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Kassel inne hatte.
2013 gelang es dann über eine Sonderbedarfszulassung einen Kassensitz im Werra-Meißner-Kreis zu bekommen und mit einem vollen Versorgungsauftrag durchzustarten. Nach einigen Praxisumzügen habe ich nun meine Räume an den Anlagen 8b in Eschwege und fühle mich dort sehr wohl.

War es schwer, die Zulassung zu erhalten? Der Traum der eigenen Praxis war sehr schwierig und durch viele Anträge bei der KV geprägt, da der Werra-Meißner-Kreis bis heute als überversorgt gilt. Deshalb musste ich zunächst auch den Weg der Privatpraxis gehen, bevor mein Antrag auf Sonderbedarfszulassung positiv beschieden wurde. Das hat im Vorfeld viele Gespräche und unzählige Anträge und Bescheinigungen bei der KV gebraucht. Die Beratung durch die KV ist nach meiner Erfahrung qualitativ sehr unterschiedlich, ich war jedoch mit meiner Beraterin bislang zufrieden.

Was bedeutet die Selbständigkeit für Sie? Selbständigkeit bedeutet „selbst“ und „ständig“ und so sah mein beruflicher Alltag auch in den letzten 9 Jahren aus. Ich trage als Praxisinhaber die volle Verantwortung gegenüber den Patienten und deren Familien aber auch gegenüber der KV und so weiter und das kann manchmal auch eine gewisse Last auf den Schultern bedeuten. Ich liebe meine Arbeit und deshalb war ich auch immer bereit viele, viele Stunden zu arbeiten und Hobbys und Freizeit dafür zu opfern aber jeder, der diesen Schritt geht, sollte sich dessen bewusst sein. Die Not der Menschen, gerade hier im ländlichen Bereich, ist groß und verlangt einem viel ab, da andere, z.T. unterstützende Institutionen, zumeist in den Großstädten verortet sind und man dadurch oft „alleine dasteht“. Selbständigkeit heißt aber auch eine gewisse Freiheit in der Arbeit zu haben.

Gibt es genügen Psychotherapeut*innen im Kreis? Im Werra-Meißner-Kreis gibt es nach meiner Auffassung eindeutig zu wenige Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut*innen. Der Bedarf ist eindeutig höher, als es verfügbare Therapieangebote gibt und dennoch gilt der Werra-Meißner-Kreis als überversorgt. Bedingt durch die hohe Nachfrage kann ich nicht jedem Anliegen gerecht werden, ich bin gezwungen Patienten wegzuverweisen. Ich versuche in persönlichen Sprechstundenterminen den Anlass und den Bedarf jedes einzelnen zu klären, um dann entsprechend geeignete Therapieangebote oder Ansprechpartner empfehlen zu können.

Welche Erfahrungen haben Sie in der Pandemie gemacht? Die Corona-Pandemie und der Umgang meiner Patienten damit hat mich im 1. Lockdown sehr positiv überrascht. Zumeist gelang es den Patienten sich gut an diese neue und sehr besondere, oft auch bedrohliche Situation anzupassen, auch die Entbehrungen durch Verbote von Hobbys, Freizeitaktivitäten, Treffen von Freunden nahmen meine Patienten sehr verständnisvoll an, Homeschooling war für viele eine noch sehr „lustige“ und wenig ernstzunehmende Erfahrung. Das Tragen der Maske auch während der 50-minütigen Therapiestunde wurde zur Selbstverständlichkeit.

Und welche Erfahrungen machen Sie aktuell? Mit dem danach folgenden hin und her an Corona-Regeln und dem 2. Lockdown vor Weihnachten zeichnen sich zunehmend auch die emotionalen Belastungen immer mehr ab: „Krisen nahmen deutlich zu“. Auch die Anrufe von Kindern, Jugendlichen und deren Familien, die bis dato noch keine therapeutische Unterstützung hatten, nahmen zum einen in ihrer Frequenz zu, zum anderen waren aber auch die geschilderten Belastungen immer dramatischer. 

Nach Aussage verschiedener Studien (z. B. COPSY-Studie des UKE) wird in Zukunft erwartet, dass die Anzahl an Kindern und Jugendlichen mit psychosozialen „Auffälligkeiten“ zunehmen wird – wie sind Ihre Erfahrungen? Ich teile die ersten Studienergebnisse zu den psychischen Belastungsfolgen der Corona-Pandemie und glaube, dass das tatsächliche Ausmaß an Folgen noch nicht absehbar ist. Die Not der Kinder und Jugendlichen und deren Familien ist immens hoch, da sehr viel, für mich zu viel, von ihnen abverlangt wird. Und Homeschooling sah bei meinen Patienten zumeist so aus, dass Unmengen an Arbeitsmaterialien erst selbständig ausgedruckt und dann alleine bearbeitet werden mussten, Video-Unterricht fand entweder überhaupt nicht oder nur ausgesprochen selten statt; Eltern fungierten als Ersatzlehrer; Kontakte zu Lehrern, um Fragen zu klären, fand kaum oder gar nicht statt etc…., was zumeist heftige innerfamiliäre Konflikte und massive Belastungen in der Eltern-Kind-Beziehung zur Folge hatte. Die aufgrund der Pandemie resultierende Vereinsamung der jungen Menschen hat enorme negative Folgen für die Psyche der Heranwachsenden aber auch für deren Entwicklungsaufgaben.

Was wünschen Sie Ihren jugendlichen Patient*innen für die Zukunft? Dass sie es weiterhin schaffen den riesigen Mut aufzubringen, um überhaupt in Therapie zu gehen, die Offenheit über sich und ihre „Baustellen“ zu reden und das Vertrauen in meine Person und Arbeit, welches sie mir als zunächst vollkommen fremde Person entgegenbringen und was mich immer wieder erstaunt. Meinen Patienten aber auch deren Familie zolle ich größten Respekt, denn nur, wenn sie sich auf die therapeutische Arbeit einlassen, sind auch Veränderungen und bestmöglich Gesundung möglich. 

Was raten oder wünschen Sie Studierenden, die sich für die Fachrichtung Psychologie entscheiden? "Studierenden der Fachrichtung Psychologie wünsche ich viel Ausdauer und Neugier, um den langen Weg bis zur eigenen Praxis durchzuhalten, denn es lohnt sich trotz der vielen Arbeit. Die selbständige Arbeit in der eigenen Praxis mit all ihren Herausforderungen ist auch eine sehr dankbare Arbeit, da man sehr intensiv mit den Patientinnen und Patienten arbeitet und sie viele Monate bis Jahre auf ihrem Weg der Gesundung begleiten darf. Für mich war zunächst die Kombination aus hälftiger Anstellung und hälftiger Selbständigkeit rückblickend der "beste Weg". Zum einen, da ich so Schritt für Schritt die Praxis aufbauen konnte und finanziell unabhängig blieb (Kredite waren nicht erforderlich), zum anderen aber auch um mich langsam aus dem Prozess der klinischen Arbeit in einem Team lösen zu können."

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